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Der Polonceau-Träger - Baukonstruktionstechnik aus den Kindertagen des Eisenbahnwesens


Thomas Scherer

Im Gästeforum des Länderbahnforums gibt "Lukas der Lokomotivführer" einen Hinweis auf eine besondere Bauart von Dachträgern, die er in Passau angetroffen und abgelichtet hat. Wie er richtig bemerkt, handelt es sich um sogenannte "Polonceau-Träger. Daß diese Konstruktion im eigentlichen Sinne ein Kind des Eisenbahnwesens ist, dürfte wohl kaum bekannt sein. Deshalb nachstehend einige "Randbemerkungen" über dessen Entstehung und seinen Namensgeber.

Die erstmalige Anwendung dieses Trägersystems erfolgte um 1838 bei den Dächern für die Bahnhöfe der Eisenbahn von Paris nach Versailles (linkes Ufer). Der genannten Bahn kommt in der Entwicklung des französischen Eisenbahnwesens eine vergleichbare Bedeutung zu wie in Deutschland der Leipzig-Dresdner Eisenbahn.

Über den Erfinder wurde mir aus der Sammlung Fridolin folgende Notiz mitgeteilt:

Polonceau, Barthélemy Camille (*1813 Chambéry – †1859 Châtillon), Ingenieur, tätig beim Bahnbau Paris – Versailles (linkes Ufer) und bei den Vorarbeiten zur Eisenbahn Paris – Lyon, später Ober-Ingenieur der Eisenbahn von Straßburg nach Basel, danach (1845) Ober-Ingenieur der Strecke von Straßburg nach Lauterburg, 1845 Ritter der Ehrenlegion.

P. ist der Erfinder eines nach ihm benannten Binder-Systems für Tragwerkkonstruktionen (Brücken, Dächer, Hallen) mit großer Spannweite. Anwendungsbeispiele: Halle des Gare du Nord in Paris, Westbahnhof in Budapest. Polonceaus Konstruktionsprinzip definierte die hölzernen Dachsparren als »unterspannte Träger«; die beiden außenliegenden Enden der Sparren eines Satteldaches verband ein Zugband aus Schmiedeeisen. Als Druckglieder dienten Stützen aus Gußeisen (siehe Zeichnung).

Bild Übersichtszeichnung Polonceau TrägerAbb. 1: Übersichtszeichnung Polonceau Träger

Der entscheidende Vorteil gegenüber anderen Dachträgerformen lag darin, daß der Polonceau-Träger keinen Seitenschub auf die Wände bewirkte. Es handelte sich um eine Mischkonstruktion, bei der die einzelnen Bauteile entsprechend ihre werkstoff-spezifischen Eigenschaften sich ergänzten. Die statisch leicht berechenbare Konstruktion (nur Dreiecke!) war schnell und einfach aus vorgefertigten Teilen herzustellen (einfache Bolzenverbindungen) und durch die Kombination der Einzelteile der geforderten Stützweite anzupassen. Wegen der Brandgefahr wurden später vielfach die Holzsparren durch Eisenträger ersetzt. "

Polonceau war ein exzellenter Bau- und Maschinentechiker, der zum "Urgestein" des französischen Eisenbahnwesens gerechnet werden muß. Als Maschinenmeister der Paris-Orleans Eisenbahn erhielt er am 8. Juni 1855 den Auftrag, für die Eisenbahn Paris – Orleans einen Salonwagenzug zur Benutzung durch Kaiser Napoleon III. zu bauen. Die Innenraumgestaltung dieses Luxuszuges entwarf der Architekt Eugène Viollet-le-Duc.

Auch über die Lokomotivtechnik machte sich Polonceau "kreative Gedanken". Zur Verbesserung der Laufeigenschaften entwarf er eine Lok-Tender-Kupplung, die den Angriffspunkt der Zugkraft nach der Längsmitte der Lokomotive verlegte1:

»An dem Rahmen war an jeder Längsseite eine Zugstange befestigt. Beide Zugstangen waren unmittelbar hinter der Feuerbüchse durch ein starkes Flacheisen verbunden, in dessen Mitte die Hauptkupplung angeordnet war. Auf dem Tender war in diese Hauptkupplung ein Zugfeder eingeschaltet. Zu keder Seite der Hauptkupplung lag eine Notkupplung. Die beiden seitlichen Puffer waren in ihren Stoßflächen mit senkrecht liegenden Zylinderflächen versehen, deren Achse in der Längsmitte der Lokomotive lag. Durch diese Kupplung sollte eine richtige Einstellung der Fahrzeuge in den Krümmungen und ein leichteres Durchlaufen derselben erzielt werden.«

Quellennachweis

zitiert nach Helmholtz/Staby: Die Entwicklung der Lokomotive, Band 1, München/Berlin 1930, S. 341;