Dr. Gert von Rosen – von Hoewel
Am 1. September 1839 wurde der erste Abschnitt der privaten München-Augs-burger Eisenbahnlinie von München bis Lochhausen in Betrieb genommen, dem am 4. Oktober 1840 der zweite bis nach Augsburg folgte. 1844 drohten der Privatgesellschaft erhebliche finanzielle Belastungen, nachdem bis dahin zu wenig für die Erhaltung der Betriebsmittel und Bahnanlagen aufgewendet werden konnte. Auch waren weitere größere Kosten abzusehen um den weiteren Ausbau der Strecke zu finanzieren, insbesondere den Ersatz des Bahnhof Provisoriums bei München durch einen stadtnäheren Bahnhof. Das gleichzeitige Interesse des Staates an einer Übernahme der Bahnlinie führte am 12. August 1844 zu dem Beschluss der Aktionärsversammlung, die Bahn mit allen Einrichtungen an den Staat zu verkaufen. Die Kaufsumme betrug 4.400.000 Gulden 1.
Die offizielle Übernahme der Bahn erfolgte am 3.10.1844, zwei Tage nach der Eröffnung des allgemeinen Verkehrs auf dem bisher fertiggestellten Abschnitt der Ludwig-Süd-Nord-Bahn von Nürnberg nach Bamberg. Der Betrieb wurde von der General-Verwaltung der kgl. Eisenbahnen besorgt, die anfangs dem Ministerium des Königl. Hauses und des Aeußern unterstellt war. Diese Bahnlinie galt als vollendet, ganz im Gegenteil zur Ludwig-Süd-Nord Bahn, die der Eisenbahnbau-Commision zugleich als vorläufiger Betriebsverwaltung und damit dem Innenministerium unterstellt war. 1851 wurden beide Bahnlinien in der jetzt als General-Direktion der kgl. Posten und Eisenbahnen bezeichneten Behörde verwaltungsmäßig vereinigt. Dennoch musste sich die Eisenbahnbau Kommission bereits seit 1844 mit best. Vorgängen bei der München-Augsburger Bahn befassen, was schon daraus zu entnehmen ist, dass das Rollmaterial und Streckeneinrichtungen, wie z.B. Weichen, in der von ihr eingerichteten Wagenbau-Anstalt in Nürnberg angefertigt wurden.
Die Betriebsführung der München-Augsburger Bahn war in Wirklichkeit schon vor der offiziellen Übernahme auf den Staat übergegangen, wie aus einer Weisung durch Nobiling von der Eisenbahnbau Kommission vom 9. September 1844 hervorgeht: „jetzt, wo der Eisenbahndienst durch die k. Regierung verwaltet wird“ 2.
Bei der offiziellen Übernahme stand nur der Fahrzeugpark der privaten Vorgängergesellschaft zur Verfügung 3 (s.u.). Der Grund für die relativ späte Überführung neuen Wagenmaterials lag z.T. darin, dass diese ältere Bahnlinie nach anderen Normen als den bei der Staatsbahn gültigen errichtet worden war und dass sich Anlagen und Betriebsmittel in einem desolaten Zustand befanden. Außerdem wurde seitens der Regierung ein besonderes Gewicht auf die rechtzeitige Fertigstellung der Ludwig-Süd-Nord Bahn gelegt, insbesondere der Strecke von Nürnberg nach Bamberg und dann der von Oberhausen bzw. Augsburg bis Nordheim. Dieser Streckenabschnitt war interessant für die Anlieferung des Rollmaterials nach Augsburg.
Es mussten bei der alten Strecke zuerst umfangreiche Reparatur- und Anpassungsarbeiten erledigt werden. Wegen der neuen, breiteren und „tiefer hängenden“ Personenwagen mussten sämtliche Bahnsteigperrons und die Schienenlage angepasst werden. Besonders aufwendig war die Anpassung an das neue Lichtraumprofil auf der Lechbrücke. Die „Einlegung von 2210 Stück Schwellen an den allergefährlichsten Stellen“ wurde erst 1845 abgeschlossen. Letztlich waren aber alle Schwellen auszuwechseln 4. Die beiden Drehscheiben im alten Bahnhof bei München waren so schadhaft, dass sie ebenfalls ersetzt werden mussten.
Auch alle Weichen waren technisch überholt. Sie waren nach dem unfallträchtigen System der sog. Schleppweichen gebaut. Die Weichenzunge in Gestalt eines kurzen Schienenpaares vor der Weiche wurde abwechselnd an die beiden feststehenden Schienenpaare des Haupt- bzw. Abzweiggleises der Weiche umgelegt. Eine Hauptgefahr bestand darin, dass bei falscher Weichenstellung eine in die Gleis zusammenführende Richtung fahrende Lokomotive zwangsläufig „in den Sand fällt“ d.h. entgleist. Im Augsburger Bahnhof gab es sogar eine Dreifachweiche dieses Bautyps. Das bewegliche Schienenpaar hatte hier kein Drehgelenk sondern “wird lediglich durch Keile in den Stuhl eingeklemt, und elastisch nach rechts und nach links gebogen“ 5. Diese „Gelenk“ Ausführung war in gewisser Weise sogar fortschrittlich weil mit ihr ein Schienenstoß und der Knick im Schienenverlauf vermieden werden konnte. Aber es bestand bei den damalig schwachen Schienen und ihrer unzureichenden Fixierung die Gefahr von ungewollten Verbiegungen, wenn ein Zug darüber fuhr.
Allein die aus England stammenden Schienen waren den später von der Staatsbahn beschafften belgischen Schienen überlegen. Das zeigte sich 1850 bei einem Vergleichstest, bei dem mehrmals unter genormten Bedingungen mit einem schweren Gewicht auf die Schienen geschlagen wurde. Obwohl sie schon eine Reihe von Jahren benützt waren, zeigten sie deutlich geringere Deformationen und weniger Rissbildungen 6.
Im Gegensatz zu den Transportwagen wurde der Bau bzw. die Einrichtung von Bahngebäuden, Perrons und Laderampen und von Streckenzubehör (ohne Gleisanlagen) öffentlich ausgeschrieben und von sog. Akkordanten ausgeführt. Das waren private Handwerker oder Unternehmer, die zu Festpreisen und unter vertragsmäßig fixierten Bedingungen die Arbeiten ausführten. Der Verwaltung unbekannte Firmen mussten bei Auftragserteilung eine Kaution hinterlegen.
Zu den so ausgeführten Streckeneinrichtungen gehörten die Stunden- und die Neigungstafeln, von denen ein Verzeichnis von 1846 vorliegt 7. Die Entfernungsangaben wurden damals in Stunden gemessen. Bei den Höhenangaben bezog sich die Bayerische Bahnverwaltung auf einen inländischen Ort: „Der Generalhorizont der königl. Bayer. Eisenbahn liegt 1600’ (bay. Fuß,v.R. = )über dem Nullpunkt des Bodensees am Pegel zu Lindau und dieser nach Humbold 398.00 Metres über dem Meeresspiegel“ 8.
Erst 1847 wurde, wie schon oben erwähnt, die Aufstellung der Wegschranken abgeschlossen. Für die 85 Wegübergänge, von denen allerdings nur 54 mit Schranken versehen wurden, mussten 51 „einfache Schiebschranken“, 20 „doppelte Schiebschranken“ und 38 „Drehschranken“ angefertigt werden. Die ungerade Zahl des ersten Schrankentyps erklärt sich daraus, dass der Wegübergang No 66 hinter Mehring zusätzlich zu den beiden Drehschranken eine Schranke jener Ausführung besaß 9. Sicherlich hat sich der Weg auf der einen Seite des Bahngeleises gegabelt, so dass hier zwei Barrieren notwendig waren.
In dem ganz oben erwähnten Schreiben von Nobiling ging es darum: „die regelmäßigen Eisenbahnfahrten noch mehr zu beschleunigen, so daß die durchschnittliche Fahrzeit nicht über, und womöglich noch unter 2½ Stunden dauern sollte“. Auf Grund von Erfahrungsberichten war es leider der Fall, so hieß es: „daß das Publikum jetzt, (...) schlechter bedient ist, als zuvor.“ Aus Anlass der überlangen Fahrzeiten wurde eine „Special-Commission“ eingerichtet, die sich mit Ursachen der Verspätungen und Möglichkeiten ihrer Vermeidung beschäftigte. Es wurden die Fahrzeiten und Auffälligkeiten in Listen erfasst, von denen zwei in den Akten aufgefunden werden konnten. Sie beziehen sich auf die Zeit vom 19. bis 28. Oktober und auf den ganzen November 1844 10,11.
Jeweils um 8.00 und um 15.00 Uhr startete ein Zug von München und gleichzeitig ein Gegenzug von Augsburg. Interessanterweise wurden damals noch die Fahrten fortlaufend durchnummeriert. Die Fahrten 39 und 40 fanden am 19. Oktober statt. Rechnet man mit je zwei Zügen pro Tag zurück, dann kommt man auf den Beginn des regulären Fahrdienstes am 3. Oktober.
Die angegebenen Fahrzeiten schwankten deutlich; die kürzesten lagen im Oktober bei etwa 2¼ Stunden, es hat aber auch einige Male mehr als 3 Stunden gedauert. Am 25. Oktober führ der Frühzug von Augsburg in der „Rekordzeit“ von 1 Stunde und 57 Minuten nach München.
Dreimal sind die Züge um einige Minuten verspätet in Augsburg abgefahren. Dazu wurde angemerkt, dass die vom Westen kommenden Eilwagen (fahrplanmäßig verkehrende Pferdeposten) abgewartet wurden, damit die Passagiere nicht den Anschluss an den Zug nach München versäumten 12. Die Behörde sah aber auch eine Ursache in einer eher bedächtigen Abfertigung der ein- und aussteigenden Passagiere, weshalb sie den Expeditionsbeamten vorhielt: „ein solcher Umstand verlangt die erhöhte Thätigkeit des (...) Personals in der Uebernahme in den K. Dienst und den damit verbundenen Standes-Vorzug von selbst den Trieb pünktlichster Dienstes-Vollziehung, wie sie der kgl. Dienst erheischt, finden und selbst jeden Anschein eines Nachlassens im Dienste vermeiden sollte.“ Besonders Nannhofen wurde angesprochen. Neben den üblichen Abfertigungen fand im Bahnhof auch noch eine Zugkreuzung statt, was wegen der eingleisigen Strecke zu zusätzlichen Aufenthalten des Gegenzuges führen konnte. Zweimal hatte stürmisches Wetter die Fahrten behindert, was bei der leichten Bauweise des damaligen Fahrmaterials nicht verwunderlich ist.
Am 5. November findet sich beim Frühzug von München mit einer Fahrtdauer von 2¾ Stunden die zusätzliche Angabe:“Locomotiv Vulkan /:Hohenleitner wurd die Geschwindigkeit nirgends eingehalten, waren auch nur 13 Wagen, durchaus nicht schwer. NB: hierüber wurde Verweis ertheilt.“ Man war also bemüht, auch die Lokomotivführer notfalls mit disziplinarischen Maßnahmen zu einer richtigen Wartung ihrer Maschine anzuhalten, ohne die diese ihre Leistung nicht bringen konnten.
Zumindest ein Teil der Züge fuhr als gemischte Personen-Güter-Züge. Beim Nachmittagszug des 26.10 hieß es: „Verzögert durch das Aufladen von 16 Fässer Bier in Maisach, welche bei derselben Fahrt in Althegnenberg wieder abgeladen werden mussten.“, oder am 22.10. nach einer dreistündigen Fahrt : „Schwere Fracht mit Holz von Olching.“
Die Angabe im Bericht vom 5.11. „durchaus nicht schwer“ kennzeichnet eine weitere missliche Betriebssituation. Von der Privatgesellschaft waren acht Lokomotiven übernommen worden: Juno, Jupiter, Vesta, Venus, Vulkan, Mars, Merkur und Diana - in der Reihenfolge ihrer Anschaffung. Der Zustand der Maschinen entsprach nicht mehr den Erfordernissen und alle hätten sofort ersetzt werden müssen. Als Notbehelf mussten längere Züge mit zwei Maschinen bespannt werden. Auch das illustriert die Kommissions-Liste für die Nachmittagsfahrt des 4.11.1844: „Der Zug ging nach Angabe des Zugführers und Condukteurs mit 19 Wagen und 2 Lokomotiven von München bis Olching wo 7 Wagen zurückblieben und der Zug mit einer Lokomotive etwas schwerfällig bis hierher fuhr.“ Weil die Entwicklung im Lokomotivbau auch auf einen stetig abnehmenden Brennstoffverbrauch abzielte, war der Einsatz von Doppeltraktionen mit überalterten Maschinen nicht nur unbefriedigend sondern auch relativ kostspielig.
Ergänzend sei noch die Eisenbahnbau Kommission zitiert: „Hierher gehört vor allem die Sorge für die möglichst regelmäßige Förderung der Fahrten, welche seither häufig durch die Unzulänglichkeit der Lokomotive, ihrer schwachen und abgenützten Beschaffenheit, unterbrechen oder bedeutend verzögert wurde, für welchen Zweck, daher mit zeitweiser Benützung der verfügbaren (...) Expansions-Maschine von Maffei vor allem zu sorgen ist.“ 13. Das bezieht sich sicher auf die Maschine „Augusta“, der späteren „Augsburg“. Sie war die erste echte Staatsbahn Lokomotive, die von Nürnberg auf die München-Augsburger Bahnlinie versetzt wurde. Sie wurde zum ersten Mal am 27.10.1844 mit dem Frühzug nach München geschickt: Fahrzeit: zwei Stunden. Der dazugehörige Kommentar der Spezialcommission lautete: „Die bereits seit gestern begonene Benützung der starken Maschine Augusta und die unablässige Ueberwachung des Fahrdienst-Personales geben der Hoffnung Raum,“ 14. Allerdings kann man an den Fahrzeiten der folgenden Fahrten nicht unterscheiden, ob alte oder neue Maschinen eingesetzt waren; die Fahrzeiten waren insgesamt im Durchschnitt etwas kürzer.
Bis zum Frühjahr 1846 wurden fünf, ursprünglich auf der Nürnberg-Bamberger Strecke eingesetzte Maschinen „für den Dienst der München-Augsburger Bahn abgegeben“ 15. Sie wurden gleichzeitig aufgeführt: „Oberon“ von Kessler, dann „Augusta“, „Faust“, „Titan“ und „Belisar“, alle von Maffei. Der Vorgang löste einen lebhaften Schriftwechsel aus, dem letztlich zu verdanken ist, dass sich darüber genauere Angaben erhalten haben. Das Problem bestand darin, dass diese Maschinen gewissermaßen aus dem Etat des Innenministeriums finanziert waren und jetzt in den Bestand des Außenministerium gelangten. Auch bei Lokomotiv Zubehör, wie z.B. Winden gab es Diskussionen, ob sie Neuanschaffungen, also dem Bau (Innenministerium) oder dem Betriebsbedarf (Außenministerium) zuzuordnen sind. Die nächsten Lokomotiven wurden direkt für die München-Augsburger Bahn bestellt16,17, drei bei Kessler: „Reichenbach“, „Fraunhofer“, „Otto von Guericke“ und eine bei Maffei „Suevia“.
Eine Besonderheit und Herausforderung stellte die Situation dar, dass bis 1849 die Bahnstrecke von München bis bzw. über Augsburg hinaus ein Inselbetrieb war. Die Lage der Wagenbau-Anstalt in Nürnberg machte besondere Vorgehensweisen nötig, um die neuen Transportwagen zur Werkstätte in Augsburg zu schaffen. Der nachstehende Teil eines Berichtes von 1845 schildert die Lage und verdeutlicht auch die Schwierigkeiten, die daraus erwuchsen: „Nachdem nun (...) die Wagenbau-Anstalt der k. Eisenbahnbau-Comission in Nürnberg im Stande war eine hinreichende Anzahl von Personenwagen nach Nordheim zu liefern, um einen vollständigen Wagenzug nach München abgeben zu können, so haben wir die Hinüberschaffung dieser Wagen auf die München Augsburger Linie angeordnet“
Einer Abrechnung von 1847 zu dem Transport von 11 sechsrädrigen, offenen Güterwagen kann man die Vorgehensweise entnehmen. Die Wagen wurden auf Fuhrwerken im zerlegten Zustand über die Schienenlücke von Nürnberg nach Nordheim geschafft, in der Werkstätte zu Augsburg zusammengesetzt und dann ihnen die von Maffei gelieferten Achsen unterstellt. 18. Für den Transport wurden insgesamt 400fl (Gulden) 30xr (Kreuzer) berechnet, das Aufstellen schlug mit 51fl 18xr zu Buch. Um die Verteuerung durch die zusätzlichen Transport zu verdeutlichen sei noch folgendes Beispiel aus einer Aufstellung von 1846 angeführt: Baukosten für einen Wagen 3. Klasse: 1944fl; Kosten für seine Fracht und Aufstellung rund 113fl 19.
Die Fortsetzung des Berichts gibt über die beabsichtigten Lieferungen Aufschluss: „und hoffen bis zum Oktober-Fest diesen Wagenzug, bestehend in 5 Wagen 3ter Klasse, 2 Wagen 2ter Klasse, 1 Wagen gemischter 1ter Klasse und 2ter Klasse und 1 Salonwagen 1ter Klasse nebst zugehörigen Gepäckwagen, die Hälfte des Transportdienstes versehen zu laßen zu können. Im Laufe des kommenden Winters wird es, wie wir erwarten, der Wagenbau Anstalt in Nürnberg möglich werden, noch einen 2ten Wagenzug hierher zu liefern und so wird auch die München-Augsburger Bahnstrecke eine einer königlichen Bahn mehr würdige Ausstattung an Transportmitteln erhalten“19. Die letzte Aussage zeigte, wie bescheiden man damals war und wie sparsam gewirtschaftet wurde.
Für die täglichen zwei Zugpaare mit längeren Zwischenpausen genügten tatsächlich zwei Zuggarnituren. Die wirklich erfolgten Lieferungen sahen laut einer Aufstellung der Nürnberger Wagenbau-Verwaltung von 1846 jedoch etwas anders aus: ein Salonwagen ist nicht aufgeführt, aber die 2 Wagen 1./2. Klasse, 10 Wagen 3. Klasse, ein Postwagen und vier Gepäckwagen. Die darauffolgenden Lieferungen umfassten die gleiche Menge an Wagen 1./2. und 3. Klasse, dann zusätzlich einen Wagen 2. Klasse, zwei vierrädrige Gepäckwagen und zum ersten mal sechsrädrige Transportwagen, nämlich vier mit unverschalten und drei mit verschalten Leitern 21,22. Mit Leitern wurde das fachwerkartige Balkengerüst des Kastenwände bezeichnet. Waren die Öffnungen der Leitern mit Brettern verschlossen, handelte es sich um „verschalte“ Wagen. Letztere entsprachen den uns geläufigen sog. offenen Güterwagen. Unverschalte Wagen wurden von 1850 an nicht mehr gebaut. Obwohl die private Vorläufergesellschaft bereits ganz gedeckte Kastenwagen zu besitzen schien, wurden solche bei der bayerischen Staatsbahn erst ab 1847 beschafft.
Bei der Bedarfsplanung wurde mit einkalkuliert, dass die alten Personenwagen nur noch für Bedarfsspitzen eingesetzt werden sollten, sobald genügend neue Wagen geliefert waren. Bei den Gütertransportwagen schien man sich noch längere Zeit mit den Gefährten der ehemaligen Bahngesellschaft zufrieden zu geben, obwohl sie nur eine Tragkraft von 50 Zentner hatten. Der Strecke Augsburg-Nordheim waren gleich zu Beginn sechs offene Gütertransportwagen zugewiesen worden. Die neuen sechsrädrigen Wagen konnten immerhin 135 Zentner tragen und die vierrädrigen noch 90 Zentner.
Dabei war der Mangel an Gütertransportwagen auf der München-Augsburger Strecke gravierend. So berichtete Regierungsrat Erdinger von der General-Verwaltung im Juni 1847: „Es ist dieser Tage bei dem Setzen der definitiven Schranken auf der München-Augsburger Bahn vorgekommen, dass die damit beschäftigten Arbeiter der Akkordanten nicht fortmachen konnten, weil es dem Bahnamte München aus Mangel der dazu nöthigen Transportwagen nicht möglich war, die Säulen und Hölzer dieser Schranken vom hiesigen Bahnhofe aus auf ihren Standorte verfahren zu lassen“. Das Bahnamt merkte zu diesem Sachverhalt an, dass sogar für den regulären Dienst die Wagen nicht ausreichten und schon gelegentlich Störungen bei der Abfertigung von Warentransporten aufgetreten seien 23. Diese Situation würde sich noch verschärfen „wenn die 4000 Klafter Holz von Olching und der heuer im Haspelmoor und bey Lochhausen gewonener Torf nach Augsburg und München auf der Bahn verbracht werden sollen“. Es wurde dabei daran erinnert, dass im vorhergehenden Jahr bereits „15 Millionen Torf“ (Torfziegel?, v.R.) verrotteten, weil sie nicht in gesicherte Lagerstätten gebracht werden konnten. Es wurde ein Antrag auf Lieferung von 15 Transportwagen gestellt. Es wurden 11 Wagen genehmigt, 5 mit offenen, 6 mit verschalten Leitern 24. Im Juli 1847 wurden diese an die Bahn abgegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt sind von der Wagenbau-Anstalt 25 Personenwagen und 25 Güterwagen nach Augsburg bzw. München geliefert worden. Auch das reichte noch nicht, so dass bereits schon im August weitere 6 vier- und 6 sechsrädrige Wagen erbeten wurden. Man war aber an der neuesten Konstruktion in Gestalt ganz gedeckter Güterwagen interessiert, wie sechs von ihnen bereits auf der Nürnberger Strecke existierten 25. Die Wagenbau-Anstalt erklärte jedoch, dass sie dazu nicht im Stande ist, weil sie schon mit den Lieferungen an die anderen Bahnstrecken erheblich im Rückstand sei 26. Erst im Januar des folgenden Jahres wurden 11 Wagen, wieder nur die schneller und billiger herzustellenden offenen übergeben 27.
Dieses Wechselspiel von stetig wachsendem Bedarf und unzureichenden Lieferungen ließe sich beliebig fortsetzen. Der Staat musste mit den bewilligten und knapp bemessenen Geldern haushalten. Das verhinderte auch die notwendige Kapazitätserweiterung der Wagenbau-Anstalt, sofern man den Wagenaustoß erhöhen wollte. Letzteres Dilemma war denn auch ein maßgebender Grund, weshalb ab 1850 der Bau der Staatsbahnwagen schrittweise privaten Etablissements übertragen wurde.
Ein Teil der Transportwagen der ehemaligen Privatgesellschaft waren noch Anfang 1850 vorhanden. Im April dieses Jahres wurde angeordnet, dass alle zu demontieren und die Untergestelle auf eine weitere Verwendbarkeit zu prüfen seien 28. Die letzten 25 Wagen: 2 Wagen I., 9 II., 10 III. Klasse und drei Güterwagen wurden in Augsburg zusammengezogen und in der dortigen Hauptwerkstätte zerlegt. Abschließend berichtete die Werkstätte, dass zwei 3.Klasse Wagen noch recht gut erhalten sind und deshalb noch nicht zerlegt worden seien. Zugleich machte sie Vorschläge, wie die Gestelle der demontierten Wagen repariert und zu Materialtransportwagen bzw. zum Transport von Equipagen (Kutschen) hergerichtet werden könnten. Es überrascht dabei zu lesen, dass Vorschläge zur Anpassung der Pufferhöhe an die Staatsbahn Norm gemacht wurden. Demnach hatten diese Wagen bis dato noch die ursprüngliche Pufferstellung gehabt. Es fragt sich dann, wie sie ohne Schwierigkeiten als Reservewagen in die Züge eingestellt werden konnten oder wie zu Anfang die gemischten GmP-Züge mit ihnen zusammengestellt wurden 29.
Zum Schluss sei noch ein „beklagenswerthes Ereigniß“ angeführt, nämlich der erste Unfall auf der bayerischen Staatseisenbahn. Er ereignete sich am 1. Juni 1846 im Gelände des neuen Augsburger Bahnhofs, der zu dieser Zeit noch nicht bezogen war. Betroffen war der „Courierzug No 4“ nach Donauwörth, bespannt mit der Lokomotive Nathan. Wegen eines nicht ganz geschlossenen Wechsels (Weiche) geriet er in ein falsches Gleis. Das führte zu einer Flankenfahrt mit einem Transportwagen, der mit einer gußeisernen Drehscheibe beladenen war. Der Packwagen hinter der Lok wurde zertrümmert. Mehrere Beamte in diesem Wagen, der auf dem Bock sitzende Bremser und ein Passagier in dem nächsten, entgleisten Personenwagen 3. Klasse wurden verletzt. Der Revisor Weber starb einige Tage später an Wundstarrkrampf 30.
Anmerkung: Original Zitate sind kursiv gedruckt; m = mm; n = nn
Literaturverzeichnis - alles bayer. Haupt Staatsarchivs, München, Abt. Verkehrsar chiv (Aktenzeichen und Datum des Schriftstücks)
1 5502: - |
11 4134: 01.12.44 |
21 4227: 04.06.47 |
2 5499: 09.09.44 |
12 5499: 23.11.44 |
22 4140: 10.11.46 |
3 6052: 27.09.45 |
13 4134: 21.10.44 |
23 30191: 23.06.47 |
4 4140: 27.01.46 |
14 = 9 |
24 30191: 26.06.47 |
5 4206: 11.01.45- |
15 4140: 24.05.46 |
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6 6890: - |
16 4109 07.11.44 |
26 30191: 21.10.47 |
7 24335: - |
17 4134: 07.11.44 |
27 30191: 07.01.48 |
8 4110: - |
18 30191: 15.09.47 |
28 30189: 30.04.50 |
9 30061: 09.02.47 |
19 4140: 02.07.46 |
29 4140: 01.07.50 |
10 5500: 28.10.44 |
20 = 4 |
30 ..5795: 02.06.46 |
Erstveröffentlichung des Artikels ohne Bilder im Länderbahn-Forum, von Tobias Fryman ed.; geringfügig geändert am 17.11.2004
Bilder: DB-Museum Nürnberg, editiert von Jürgen Riedl