Die Eröffnung

Geschlafen hat er nicht besonders gut. Seine Gedanken drehen sich im Kreise. Im Geiste geht er den Ablauf des heutigen Tages noch einmal durch. Ja, er ist sich sicher, er hat an alles gedacht. Er schaut herüber zu seiner Frau, so friedlich wünschte er sich auch genächtigt zu haben. Na, was soll's, da kann er ja auch aufstehen. Er weckt das Hausmädchen, mehr als Tee braucht es nicht sein. Ein spätsommerlich warmer Tag wird es wohl werden, heiß, er wählt das beste Gewand; der König kommt. Rasch eine Tasse Tee, und er schreitet würdigen Schrittes zum Festplatz, den neu errichteten Bahnhof von Schwabmünchen. Als Festleiter war er zur Planung öfter dort.



Seine Augen schweifen über die Anlage. Ein paar Tage haben die Tagelöhner und Akkordanten schon gebraucht, um den Festplatz an der Eilcurier- und Wasserstation Schwabmünchen für die Eröffnungsfeier des Abschnitts Augsburg und Kaufbeuren der Ludwig Süd-Nordbahn herzurichten. Es ist der 25. August 1847, Geburtstag seiner Majestät des Königs Ludwig I. Leider ist der Bahnhof noch weit davon entfernt, vollendet zu sein. Es wird wohl noch ein Jahr dauern, bis er seiner Bestimmung übergeben werden kann1. Das Betriebspersonal wird wohl noch eine Weile in ungemütlichen Baracken zubringen müssen. Immerhin, das Wasserhaus ist soweit fertiggestellt. Nicht auszudenken, wenn eine der extra für diese Bahn ausgelobt und beschafften Dampflokomotiven wegen Wassermangel liegen bleiben müsste. Vor 12 Jahren, am 7. Dezember 1835 fuhr der erste Dampfwagen in Deutschland. Was für eine aufregende Zeit des Fortschritts. Überall werden neue Eisenbahnlinien geplant und gebaut. Die Kutscher beginnen schon nachdenklich zu werden. Was, wenn noch mehr Eisenbahnlinien entstehen, und jede Stadt, jedes Dorf mit der Bahn erreichbar ist? Von was soll man sein Dasein fristen? Die Zeit vergeht und wandelt sich. So war es immer, welche Chancen werden sich daraus ergeben? Der Vorsitzende schaut auf seinen Chronometer. Hm, Zeit seine Frau abzuholen, heute gibt es eine Festmesse. Eigentlich war er gar nicht zu Früh.

Hochwürden hat die Ruhe weg. Heimlich blinzelt er auf seine Uhr. Er zupft sich dezent am Bart und Hochwürden versteht. Ein Sanktus, Kirchengeläut und die Orgel dröhnt zum Ausgang. Die Festgemeinde sammelt sich am Kirchhof und zieht - die Fahne - hoch an der geschmückten Hauptstraße zum Bahnhof. Die Musikkapelle schmettert, dass es eine Freude ist, er wird ruhiger. Es läuft.

An der Station angekommen, nimmt das Festkomitee Aufstellung, die Honoratioren, die Geistlichkeit, jeder nimmt seinen Platz ein. Es ist ein aufregender Augenblick. Der Festleiter blickt Richtung Augsburg. Bald wir das Semaphor die Ankunft des Zuges ankündigen. Der Signalwärter hat die Semaphorflügel schon auf die Stellung »der Zug hat die vorletzte Station verlassen« gezogen. Klar, an jeder Station macht der Zug halt. Die Musikkapellen spielen, der König wird überall durch Vivat und Jubelrufe freudig begrüßt. Wann kann man seinen Regenten schon einmal leibhaftig sehen. Welche Ehre, dem Ereignis beizuwohnen.

Da, der Semaphor wird auf »Der Zug kommt« gezogen, beide Flügel sind nun horizontal ausgerichtet. Von der Ferne sieht man schon den dunklen Rauch der Lokomotive. Gleich wird der Zug über die Einfahrtsweiche rumpeln, der Kapellmeister hat seinen Taktstock schon erhoben, die Kapelle ist hoch konzentriert. Der Zug rumpelt über die Weiche, der Weichenwärter an der Einfahrtsweiche salutiert. Mit diesem Zeichen weist der Festleiter die Musik an. Die Ehrengäste und Würdenträger recken ihre Hälse, gleich ist der König zu sehen. Die Dampflok pfeift das Bremsen an, drei kurze Pfiffe. Der Zug hält, der König verläßt den Zug und der Festleiter huldigt Seine Majestät den König, Ludwig I als ersten. Diesen Tag wird er nicht mehr vergessen.

Eine Woche Später wird diese Ereignis in der Eisenbahnzeitung Eingang finden.

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1Das Hauptgebäude wurde am 5. Dezember 1848 dem Betrieb übergeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte König Ludwig I. wegen der Affäre mit der Irischen Tänzerin aus Limerik mit Bühnennamen Lola Montez abgedankt, die Regentschaft übernahm sein Sohn Maximilian II. Dessen Sohn, der spätere Märchenkönig, Ludwig II. ist zu diesem Zeitpunkt 3 Jahre alt. Er wird die Regentschaft 19 jährig 1864 übernehmen, nach dem plötzlichen Tod seines 59 Jahre alten Vaters .